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Haben wir schon die Scharia?

Der Frankfurter Justizskandal um eine verprügelte muslimische Frau macht deutlich: Die dritte Gewalt tut sich schwer mit den Problemen der deutschen Einwanderungsgesellschaft. Allzu viele Urteile spielten bereits Islam-Fundamentalisten in die Hände.
aus DER SPIEGEL 13/2007

Sie hat es nicht gewusst. Sie hat es nicht einmal geahnt. Es war doch nur gut gemeint, und es war vielleicht, wahrscheinlich, sicher sogar ein Fehler. Schwamm drüber. Bitte.

Mitten im Sturm fehlten der Frankfurter Familienrichterin Christa D. vergangene Woche zwar die Worte. Aber Bernhard Olp, Sprecher des Frankfurter Amtsgerichts, fand welche für sie: Von psychischer Belastung als Folge eines zehn Jahre zurückliegenden Mordes in ihrem Büro war die Rede und davon, dass die Richterin sich nun zunächst einmal erholen wolle. Auch dass sie »entsetzt« sei, wusste Olp zu berichten - nicht über sich oder über ihre skandalöse Entscheidung, sondern über die Reaktionen, die der Fall hervorgerufen habe.

Die waren so heftig, als hätten Deutschlands Muslime den Kopftuchstreit und den Konflikt um die Mohammed-Karikaturen an einem Tag gewonnen und gewissermaßen im Vorbeigehen die rechtlichen

Fundamente des Abendlandes geschliffen.

»Im Namen des Volkes: Prügeln erlaubt«, titelte die »Tageszeitung« von links. »Ein unerhörter Fall!«, befand »Bild« von rechts. Auch in der Politik herrschte - über alle Parteigrenzen hinweg - Einigkeit. »Unerträglich«, urteilte Bayerns Innenminister Günther Beckstein (CSU), »schlimmer als das Hinterhofurteil eines islamistischen Imam«, die SPD-Islambeauftragte Lale Akgün. Selbst der Vizechef der Grünen-Bundestagsfraktion, Hans-Christian Ströbele, verwies darauf, dass eine deutsche Richterin deutschem Recht verpflichtet sei.

Dabei ging es zunächst nicht um den Kampf der Kulturen im Gerichtssaal, sondern um die Angst einer 26-jährigen Deutschen marokkanischer Herkunft vor ihrem gewalttätigen marokkanischen Ehemann, der sie - trotz behördlicher Kontaktsperre - fortwährend weiter bedrohte. Er hatte sie geschlagen, er soll gesagt haben, er wolle sie notfalls töten.

Doch als die Anwältin der Frau, Barbara Becker-Rojczyk, die Ehe noch vor Ablauf des gesetzlich vorgeschriebenen Trennungsjahres scheiden lassen wollte, schaltete Richterin D. auf stur. »Eine unzumutbare Härte«, die eine sofortige Auflösung der Ehe nötig mache, liege »nicht vor«. Die Frau habe vielmehr damit »rechnen« müssen, dass ihr in einem islamisch geprägten Land aufgewachsener Mann sein religiös verbrieftes »Züchtigungsrecht« auch ausübe.

In einer dienstlichen Erklärung legte die Richterin in Sachen Islam noch einmal nach: In Sure 4 Vers 34 enthalte der Koran »neben dem Züchtigungsrecht des Mannes gegenüber der ungehorsamen Ehefrau auch die Feststellung zur Überlegenheit des Mannes gegenüber der Frau«.

Anders formuliert: Eine Frau, die einen Muslim heirate, müsse wissen, was auf sie zukommt. Auch in Deutschland. Für Alice Schwarzer, Herausgeberin der Zeitschrift »Emma«, kam dies einer »Aufweichung unseres Rechtssystems« gleich, die »keineswegs Zufall« sei. Auch Deutschlands einziger Minister für Integration, der nordrhein-westfälische CDU-Mann Armin Laschet, sieht den Frankfurter Richterspruch als »vorläufig letztes Glied einer Kette erschreckender Urteile deutscher Gerichte« - in denen zum Beispiel sogenannte Ehrenmorde nur als Totschlag und nicht als Mord gewertet wurden.

Nicht zuletzt deshalb müsse man der Frankfurter Richterin »fast dankbar sein, dass sie sich klar auf den Koran bezogen hat«, meint die Berliner Familienanwältin und prominente Frauenrechtlerin Seyran Ates: »Sie hat nur auf die Spitze getrieben, was unterschwellig vor Gericht oft da ist.« Richter würden - aus falsch verstandener Toleranz - die Wertvorstellungen muslimischer Subkulturen mildernd berücksichtigen und so der stillen Islamisierung in der muslimischen Parallelwelt Vorschub leisten. Damit plagt sich Anwältin Ates in ihren Prozessen oft herum. »In Frankfurt«, so Ates, »wurde zum ersten Mal ausgesprochen, was viele denken.«

Die Marburger Islamexpertin Ursula Spuler-Stegemann sieht dies ähnlich: »Haben wir schon die Scharia hier?«, fragt sie. Der Fall zeige, »dass hier Dinge aus dem Ruder laufen«.

Markiert die unsägliche Entscheidung einer einzelnen hessischen Familienrichterin tatsächlich eine neue Stufe des Appeasement, der Beschwichtigungspolitik der deutschen Justiz gegenüber aggressiv auftretenden Muslimen? Oder ist der kollektive Aufschrei diesmal nur deshalb so laut und lagerübergreifend, weil der Fall so eindeutig ist?

Weil alle glauben, endlich einmal festen Boden unter den Füßen zu haben, in der seit Jahren schwelenden und bislang ergebnislosen Debatte um die Frage, wie viel Fremdheit die Deutschen ertragen sollen und wie viel Anpassung sie verlangen dürfen. Weil es diesmal um Gewalt geht - und damit um den kleinsten gemeinsamen Nenner, auf den sich linke Feministinnen, Neu- und Altkonservative immerhin einigen können.

Gefahr erkannt, Gefahr gebannt? Von wegen. Zwar wurde die Richterin von ihrem Fall abgezogen, die Justiz erwies sich als handlungsfähig. Aber schon häufig wurde die Liberalität des Rechtsstaats missbraucht, wurde falschverstandene Toleranz zur Selbstaufgabe. Gilt es dabei nicht gerade, die - in Deutschland mühsam - gewonnene Liberalität zu schützen, notfalls mit null Toleranz gegenüber der Intoleranz?

Die Fragen, die sich daraus in der gesellschaftlichen Realität ergeben, sind quälend schwierig, für viele ein Affront. Und sie führen mitten hinein in einen Verhau aus historisch gewachsenen Tabus. Wer sich darin bewegt, kann oft gar nicht anders, als anzuecken.

Die Debatte, die Richterin Christa D. nun erneut angestoßen hat, scheint die Deutschen wie in Fieberschüben heimzusuchen. Sie berührt die Frage, wie viel Anpassung der Rechtsstaat von Einwanderern verlangen darf oder muss. Akzeptieren die Deutschen die manchmal altertümlichen Vorstellungen anderer Kulturkreise? Gestatten sie also Gruppen, nicht nur neben der Bevölkerung in einer Parallelgesellschaft zu leben - sondern auch in einem anderen Zeitalter und mit einer ganz anderen Geschwindigkeit? Ist die Republik nicht verpflichtet, auch die Menschen, die der Gesellschaft fremd sind, mitzunehmen, wenigstens schon mal bis in die Gegenwart?

Wie Schlachten oft um Fahnen herum geschlagen werden, entzünden sich die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen gern an Symbolen: an Kopftüchern, von Lehrerinnen getragen. An den Minaretten von Moscheen, die das Bild mancher Ortschaften ändern. Am abgeschlagenen Mohammed-Kopf in der Berliner Inszenierung der Oper »Idomeneo«. An harmlosen dänischen Karikaturen, die Mohammed zeigten - weswegen 2005 weltweit westliche Flaggen und Botschaften in Flammen aufgingen. Aber auch an Kleinigkeiten hierzulande: Wenn die Kirche die Glocke läutet, darf dann auch der Muezzin zum Morgengebet rufen - um 5.45 Uhr in der Frühe?

Da Deutschland längst ein Einwanderungsland geworden ist, braucht es dringend eine Linie, wie hart seine Normen durchzusetzen sind, wie mit den Neuen umzugehen ist. Und wie sie sich zu verhalten haben.

Die Debatte darum wird immer drängender, man muss der Frankfurter Richterin also dankbar sein für ihr ahnungsloses Herumtrampeln im Tabu-Verhau. Denn die Bundesrepublik hat vor allem mit strengreligiösen muslimischen Migranten ein ähnliches Problem wie die modernen Israelis mit ihren orthodoxen Juden: Die Fundamentalisten zeugen viele Kinder, den Männern und Frauen der Vergangenheit könnte sehr wohl ein erheblicher Teil der Zukunft gehören - auch den Muslimen in Deutschland. Deren Zahl wird sich nach einer Studie der Universität Tübingen schon 2030 deutlich mehr als verdoppelt haben.

Allzu lange wurden ihnen keine großen Integrationsbemühungen abverlangt. Jahrzehntelang planierten deutsche Richter islamischen Fundamentalisten geradezu den Weg in die Parallelgesellschaft. Der Strategie islamischer Verbände, vor Gericht vermeintlich religiöse Freiräume zu erstreiten, hatten sie wenig entgegenzusetzen. Obwohl - so Johannes Kandel, Leiter des Referats Interkultureller Dialog in der Politischen Akademie der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung - den Juristen klar sein musste, dass die »gruppenrechtliche Privilegierung gegen das Gleichheitsgebot der säkularen Rechtsordnung gerichtet ist«.

Mit Verweis auf die im Grundgesetz garantierte Freiheit der Religionsausübung erlaubten Richter Muslimen hierzulande, ihre Kinder vom Schwimmunterricht abzumelden oder Klassenfeiern und -fahrten fernzubleiben. Auch dadurch konnten im aufgeklärten Europa die mittelalterlichen Keuschheitsvorstellungen Ost-Anatoliens

überleben. Dabei sei die Religionsfreiheit »kein Grundrecht de luxe«, mahnt der Verfassungsrichter Udo Di Fabio, sondern nur eines von mehreren. Und das müsse immer abgewogen werden gegen andere (siehe Interview Seite 26).

»Wir waren viel zu lange viel zu nachlässig«, meint Andreas Jacobs, Koordinator für Nahost-Politik und Islamische Länder in der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung. Ein Indiz dafür, »dass wir schleichend unsere eigenen Rechts- und Wertvorstellungen zur Disposition stellen«, wie Wolfgang Bosbach, stellvertretender Vorsitzender der CDU-Bundestagsfraktion, fürchtet, ist das Frankfurter Urteil für Jacobs jedoch nicht - sondern eine Art Nachbeben naiver Multikulti-Illusionen vergangener Jahre: »Schließlich zeigen die Reaktionen auf diesen Unsinn, dass die Sensibilität im Vergleich zu früher viel größer geworden ist.«

Spätestens seit der Ermordung des niederländischen Filmemachers Theo van Gogh befinde sich auch das Gros der deutschen Juristen und Politiker nun endlich »in der Aufwachphase«.

Im Herbst 2004 hatte Mohamed Bouyeri, Sohn marokkanischer Einwanderer, der in Amsterdam geboren und zur Schule gegangen war, van Gogh mitten in Amsterdam wie einem Tier die Kehle durchgeschnitten - weil er sich und seine Religion durch den Film »Submission« des Regisseurs über die Unterdrückung der Frau im Islam beleidigt gefühlt hatte. Van Gogh hatte den Film zusammen mit der aus Somalia stammenden Islam-Kritikerin Ayaan Hirsi Ali gedreht. Der Mord an ihm traf die Niederlande ins Mark: Mit einem Mal stand das Land vor den Trümmern seiner bis dahin viel gelobten Toleranz. Erst brannten Moscheen und Koranschulen, dann flogen Brandsätze gegen Kirchen.

Der Kultur-Clash im Nachbarland lenkte auch in der Bundesrepublik den Blick auf Verhältnisse, die viele bis dahin gern mit dem Schlagwort »kulturelle Vielfalt« schöngeredet hatten: auf die schleichende Islamisierung in Randgebieten der Gesellschaft, auf Parallelwelten mitten in deutschen Städten. Und ironischerweise passierte all das noch bis vor wenigen Jahren mit tatkräftiger Unterstützung des Rechtsstaats und seiner Diener.

In vielen kleinen Urteilen kamen deutsche Richter, oft mit gutem Grund, den Muslimen im Land entgegen. 2002 entschied das Landesarbeitsgericht Hamm, dass Gebetspausen während der Arbeitszeit zulässig seien, sie müssten allerdings mit dem Arbeitgeber abgesprochen werden. Ein Betrieb hatte einen muslimischen Arbeiter abgemahnt, weil der mehrmals pro Tag beten wollte. Der Arbeiter pochte mit Verweis auf die Religionsfreiheit auf sein Recht.

Beim Schächten mussten deutsche Gerichte muslimischen Metzgern in mehreren Verfahren Ausnahmen zugestehen: Schließlich dürfen ja auch Schlachter der jüdischen Religionsgemeinschaft rituell schächten. 2002 traf das Bundesverfassungsgericht diese Grundsatzentscheidung und erlaubte das Schächten nach muslimischem Ritus, nachdem der Metzger Rüstem Altinküpe aus Wetzlar geklagt hatte.

Auch in puncto Moscheebau haben Muslime deutsche Gerichte oft auf ihrer Seite. Nachbarn hätten es »grundsätzlich hinzunehmen«, dass sie vor Sonnenaufgang

geweckt werden, entschied das Bundesverwaltungsgericht schon 1992.

Der Muezzin, der in traditionellen Moscheen fünfmal täglich vom Minarett zum Gebet ruft, kann meist ebenso auf die Regelungskompetenz deutscher Richter bauen und vertrauen. Versuche von Städten, dergleichen mit Hilfsargumenten zu unterbinden, hatten selten Erfolg.

Im hessischen Dillenburg etwa hatte das Landratsamt versucht, den Muezzin mit dem grotesken Verweis auf die Straßenverkehrsordnung zum Schweigen zu bringen: Das fromme Werben könne Autofahrer irritieren. Das Verwaltungsgericht Gießen hob die Entscheidung auf.

Theoretisch ließe sich der Lockruf des Orients in allen deutschen Kommunen gerichtlich durchsetzen. Denn wo Christen bimmeln dürfen, müssen Muslime rufen können.

Schließlich gilt hierzulande der Gleichheitsgrundsatz auch für jene, die mit Gleichheit wenig am Hut haben. Die meisten Moscheevereine verzichten aber freiwillig auf dieses Recht.

Auch auf Presserechtskammern können Muslime oft vertrauen: Absurd ist etwa der Ausgang eines Rechtsstreits zwischen dem früheren Imam der Berliner Mevlana-Moschee, Yakub Tasci, und dem ZDF vor dem Landgericht Potsdam im Mai vorigen Jahres.

Richter Klaus Feldmann verbot dem Sender, den Vorbeter auf seinen Internet- Seiten als »Hassprediger« zu bezeichnen, obwohl der, wie das Magazin »Frontal21« gezeigt hatte, in der Moschee Deutsche nachweislich sinngemäß als stinkende Ungläubige bezeichnet hatte. Tasci habe nicht von Deutschen, sondern allgemein von Atheisten gesprochen und sich erst an anderer Stelle der Predigt über Hygiene und Schweißgeruch geäußert, so das Gericht.

Heikel aber wird es bei Prozessen von grundsätzlicher Bedeutung. Manchmal dilettieren die Instanzen der Republik dabei nur, wie im Kopftuchstreit: Die badenwürttembergische Lehrerin Fereshda Ludin klagte sich 2003 bis vor das Bundesverfassungsgericht, weil sie mit Kopftuch als Beamtin unterrichten wollte. Das höchste deutsche Gericht entschied, Schulen seien Ländersache. Die Länder müssten also entsprechende Vorschriften auf den Weg bringen. Das ist bis heute in vielen Ländern nicht geschehen, die Debatte schwelt weiter.

Oft aber kommt Justitia den Muslimen entgegen und gestattet ihnen, was oft nicht einmal in der säkularen Türkei erlaubt ist. Schon 1984 gab das Verwaltungsgericht Wiesbaden der Klage einer Muslimin statt, die selbst auf Fotos für Ausweispapiere ihr Kopftuch aufbehalten wollte. In der Urteilsbegründung hieß es: »Der islamische

Glaube schreibt der Klägerin vor, dass sie in der Öffentlichkeit eine Kopfbedeckung zu tragen hat.« Das Urteil wird von Muslimen als Argumentationshilfe genutzt, obwohl es nicht rechtskräftig ist.

Als eklatanter Sündenfall auf dem Weg zur rechtlichen Absicherung islamischer Parallelwelten gilt Experten ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahr 1993. Die Richter entschieden, eine 13-jährige Türkin sei vom Sport- und Schwimmunterricht zu befreien, wenn dieser nicht streng nach Geschlechtern getrennt angeboten werde. Die Familie des Mädchens hatte argumentiert, das Kopftuch könne ja verrutschen.

Da half auch der - rückblickend geradezu prophetische - Einwand der Schulverwaltung nichts, Sonderrechte würden Klassenfahrten, Aufklärungsunterricht oder Theaterbesuche immer schwerer machen. Die Richter erklärten die Teilnahme am Sportunterricht für »unzumutbar«. Sie entschieden zugunsten der Religionsfreiheit der Eltern und gegen die Entwicklungschancen und Freiheitsrechte dieses Kindes - und vieler anderer Kinder.

In einem ähnlichen Fall hieß es, es sei unerheblich, ob der Koran ein solches Verhalten tatsächlich vorschreibe, es reiche bereits eine gefühlte Vorschrift, so die Richter. Man müsse sogar außer Acht lassen, dass diese Glaubensregeln »nach westlichen Beurteilungsmaßstäben einseitig zu Lasten der heranwachsenden Frauen« gehen.

Eine Haltung, die sogar noch ein Jahr nach den Anschlägen des 11. September

2001 in deutschen Richterhirnen weiterspukte. Damals entschied das nordrheinwestfälische Oberverwaltungsgericht, eine muslimische Schülerin der zehnten Klasse dürfe einer Klassenfahrt fernbleiben. Die Familie hatte vorgetragen, der Islam verbiete es, Mädchen ohne Begleitung eines männlichen Familienmitglieds mitfahren zu lassen. Überdies fürchte die Tochter ständig, ihr Kopftuch zu verlieren. Die Richter fanden, solcherlei Ängste seien mit der Situation einer »partiell psychisch Behinderten vergleichbar, die behinderungsbedingt nur mit Begleitperson reisen kann«.

Die Einschätzung war grundsätzlich verheerend, weil sie die Regeln - tatsächlich - einer Kameltreibergesellschaft in der Moderne akzeptierte. Denn wenige Jahre zuvor hatte ein islamisches Rechtsgutachten als »Kamel-Fatwa« Eingang in die Fachliteratur gefunden. Erstellt hat es der damalige Vorsitzende der Islamischen Religionsgemeinschaft Hessen, Amir Zaidan.

Der befand, eine Muslimin dürfe sich ohne einen männlichen Blutsverwandten nur maximal 81 Kilometer von der ehelichen oder elterlichen Wohnung entfernen. Das nämlich ist die Entfernung, die eine Kamelkarawane zu Zeiten des Propheten Mohammed innerhalb von 24 Stunden zurücklegen konnte.

Zaidan vertrat diese Position im Jahr 2001 sogar auf dem evangelischen Kirchentag in Frankfurt am Main - mit der Begründung, eine Frau, die weiter reise,

laufe Gefahr, vergewaltigt zu werden. Offenbar durfte man den dort versammelten Gutmenschen solchen Unsinn erzählen, ohne Gefahr zu laufen, wegen Vergewaltigung der Religionsfreiheit vom Gelände gejagt zu werden.

Wie eine Meldung aus Absurdistan klingt auch, was das Bundessozialministerium im Sommer 2004 deutschen Krankenkassen ins Stammbuch schrieb: »Polygame Ehen sind anzuerkennen, wenn sie dem Heimatrecht der in Betracht kommenden Personen entsprechen.«

Im Klartext: Muslimische Paschas, in deren Herkunftsland die Vielweiberei - wie in Marokko, Algerien oder Saudi-Arabien - legal ist, konnten in begründeten Ausnahmefällen ihre Zweitgattin bei einer gesetzlichen Krankenversicherung beitragsfrei mitversichern.

Mittlerweile kommen derartige Auswüchse kaum noch vor. Die Richter nehmen mehr und mehr jene Verantwortung wahr, die der Jurist und Islam-Wissenschaftler Mathias Rohe von ihnen fordert: mittels des Rechts »auch Signale in eine Gesellschaft hineinzugeben - dies ist erlaubt, jenes nicht«.

So ordneten etwa Düsseldorfer Verwaltungsrichter 2005 ohne Wenn und Aber an, dass ein muslimischer Junge mit Mädchen gemeinsam zum Schulschwimmen müsse. Die Begründung: Muslime würden in Deutschland »mit freieren Wertvorstellungen konfrontiert, mit denen sie umgehen müssen. Nichts anderes gilt für staatlichen Schwimmunterricht«.

An der Basis aber kommt dieser Sinneswandel der Justiz nicht an. Im Gegenteil, der Geist, den die Juristen einst aus der Flasche gelassen haben, prägt nach wie vor die gesellschaftliche Wirklichkeit. »Immer mehr Mädchen nehmen nicht am Schwimmunterricht teil oder fahren auf den Klassenfahrten nicht mit«, sagt Christa Stolle von der Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes. »Oder sie werden gleich von der Schule genommen.« Auch das Kopftuchtragen habe massiv zugenommen. Stolles Eindruck: »Es wird härter für die Mädchen.«

Besonders Erfahrungen an Schulen in Ballungsgebieten der Republik machen deutlich, wie sehr die Integration auch unter den Sprüchen furchtsamer Juristen der vergangenen Jahre gelitten hat. An der Carlo-Mierendorff-Schule im Frankfurter Stadtteil Preungesheim darf in den höheren Jahrgängen rund ein Drittel der Schüler aus religiösen Gründen nicht an Klassenfahrten teilnehmen, klagt Direktor Alexander Zabler.

Viele muslimische Eltern meldeten ihre Töchter krank - oder befahlen einfach, dass sie nicht mit Klassenkameraden verreisen dürfen. Zabler versuchte es also mit Gesprächen, Hausbesuchen, Spezialkost für Muslime in den Unterkünften, alles ohne Erfolg. Dann rief er nach der Staatsmacht, bat das Schulamt um Hilfe, ergebnislos. Inzwischen hat er resiginiert. Vergangenen Monat beschlossen Eltern, Lehrer und Schüler an der Carlo-Mierendorff-Schule, Klassenfahrten künftig ganz zu streichen, wenn mehr als zehn Prozent der Schüler absagen. »An diesem Punkt ist Integration bei uns gescheitert«, klagt Zabler.

Nicht zuletzt dank der Aktivitäten von Leuten wie den Delmenhorster Brüdern Yavuz und Gürhan Özoguz, die juristisch ausgefeilte Musterbriefe zur Befreiung vom Schwimmunterricht auf ihrer Internet-Seite »Muslim-Markt.de« verbreiten. Damit setzen die Eltern die erfochtenen Sonderrechte gegen Lehrer und Schulleiter durch.

Äußert sich der strenge Glaube der Eltern bei den Mädchen als extreme Form der Sittsamkeit, so schlägt er bei muslimischen Jungen oft als Rabaukentum durch. Paul Reiter, 47, Englisch- und Französischlehrer an einer Bochumer Gesamtschule, erlebt die Folgen der selbstgewählten aggressiven Ausgrenzung immer wieder im Klassenzimmer. Er kenne etliche »Schulversager mit Goldkettchen«, die durch antiamerikanische, antijüdische und sexistische

Sprüche auffielen. Sie redeten deutsche Frauen regelmäßig als »Nutten« an. Lehrerinnen versuchten, in manchen Klassen im Unterricht »einfach nur zu überleben«.

Marie-Luise Bock, Leiterin der Martin-Luther-Hauptschule in der Ruhrgebietsstadt Herten, sieht ihre Bemühungen zur Integration der Mädchen denn auch vor allem von zwei Seiten torpediert: von »erzkonservativen« muslimischen Eltern und »machohaften Brüdern«. Rund ein Drittel der muslimischen Schülerinnen trage Kopftuch, »und jede zweite ist unglücklich damit«. Für manche Ex-Schülerin, so Bock, habe sie schon einen Platz im Frauenhaus organisiert. »Es macht mich fertig, dass wir so wenig für diese Mädchen tun können«, sagt sie.

Auch die Islam-Wissenschaftlerin Spuler-Stegemann hat verzweifelte Lehrer erlebt. »Viele wissen nicht, wo sie die Grenze ziehen dürfen, was Muslime betrifft.« Noch gefährlicher, meint Spuler-Stegemann, sei eine »dramatische Entwicklung, die derzeit von der breiten Öffentlichkeit nahezu unbemerkt im Bildungssektor abläuft: Da sind Gruppen, die wirklich eine Gegenwelt haben wollen«.

Organisationen wie etwa der Verband der Islamischen Kulturzentren betreiben bundesweit eine Reihe eigener Kinderheime. Dort bleiben die Kinder oft unter sich, Kritiker sprechen von religiöser Indoktrination, was die Verbandsverantwortlichen bestreiten. Auch Milli Görüs und die Islamische Gemeinschaft Deutschlands, die beide vom Verfassungsschutz beobachtet werden, machen intensive Jugendarbeit. Muslimische Verbände hätten sich in Deutschland so zu verhalten, »dass wir einen Partner haben«, mahnte Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble - sonst müssten Fahnder und Juristen sich um sie kümmern.

Zunehmend versuchen muslimische Organisationen auch, eigene Schulen zu eröffnen - schließlich würden ja etwa auch christliche Nonnen an anderen deutschen Schulen unterrichten. Die Muslime preisen ihre Konzepte als integrativ, Beamte glauben ihnen, genehmigen die Schulen - de facto melden sich dann aber nur Muslime an.

Jahrelang war beispielsweise die König-Fahd-Akademie in Bonn im Visier der Verfassungsschützer. Die Moschee mit angeschlossener Schule stand in der Kritik, weil dort Schulbücher benutzt wurden, die den Dschihad verherrlichen. Aber auch die normalen Koranschulen, die es an so gut wie allen Moscheen in Deutschland gibt, ziehen die etwa 70 000 Kinder und Jugendlichen, die sie besuchen, oft mit Macht in die Welt ihrer Großväter zurück.

Und natürlich gibt es auch in vielen Familien kein Entrinnen aus der muslimisch gerechtfertigten Enge. Frauen werden zum Dienen und zum Gehorsam erzogen, Jungen werden abwechselnd gehätschelt oder geschlagen, wie es die Sitten gebieten. Nach einer Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen werden mehr als doppelt so viele türkische Jungen von ihren Eltern verprügelt wie deutsche Jungen. Und »Mädchen aus konservativen Familien sagen, dass ihre Väter und Brüder das Recht hätten, sie zu schlagen«, berichtet Judith Gerling-Tamer,

Pädagogin in der Elisi-Evi-Beratungsstelle für Frauen und Mädchen in Berlin-Kreuzberg.

Was in den Familien passiert, davon erfährt die Justiz meist wenig. Doch Gesetze senden Signale, Urteile senden Signale. Werden wie in vielen Urteilen der Vergangenheit falsche Signale gesendet, wirkt das auch in den Familien. Bleiben dringend notwendige Gesetze aus, hat das ebenfalls verheerende Wirkungen.

In einschlägigen Beratungsstellen melden sich regelmäßig junge Frauen, die zwangsverheiratet werden sollen - dagegen gibt es in der Bundesrepublik weder Gesetze noch Vorschriften.

Eine Untersuchung des Familienministeriums aus dem Jahr 2004 ergab, dass 17 Prozent der befragten türkischen Frauen ihre Ehe als erzwungen empfanden. Wie es ist, in Deutschland zwangsverheiratet zu werden, wissen zum Beispiel die türkischen Zwillinge Ayse Auth und Hatice Nizam. Sie wurden als Töchter einer zehnköpfigen türkischen Gastarbeiterfamilie in Hessen geboren. Zwar schafften beide einen guten Hauptschulabschluss und eine Friseurlehre. Doch danach, so die Zwillinge, hätten die Eltern darauf bestanden, sie zu verheiraten - mit Türken, die die jungen Frauen gar nicht kannten. Mit 18 wurde Hatice verheiratet, mit 19 Ayse.

Vier Jahre lang kämpften die beiden, um ihre ungeliebten Gatten loszuwerden. Als sie schließlich siegten, wurden sie von der Familie geächtet.

Anders als viele Leidensgenossinnen haben die Zwillinge inzwischen selbstbe-

wusst ihren Weg in Deutschland gemacht. Sie betreiben zwei Friseursalons, leben mit deutschen Partnern zusammen. Zwangsehen, sagt Hatice Nizam, gehörten aber »leider noch immer« für viele türkischstämmige Frauen in Deutschland zum Alltag - »und es ist furchtbar schwer, sich daraus zu befreien«.

Dabei versucht Ayten Köse, 42, Quartiersmanagerin im Neuköllner Rollberg-Viertel, zu helfen. Sie sieht anders aus als

die meisten Musliminnen hier. Sie trägt statt Kopftuch ihre Haare offen.

Köse weiß, wie schwer es Musliminnen mitten in Deutschland fällt, Mut zu beweisen, sich aufzulehnen. Immer wieder erinnert sie die Frauen daran, dass der deutsche Staat sie nicht im Stich lassen werde. »Aber was sage ich ihnen jetzt nach dem Frankfurter Urteil?«, fragt Köse wütend. »Dass das manchmal eben doch passieren kann?« Dabei sei die Hoffnung auf das Grundgesetz, die Hoffnung, dass es auch durchgesetzt werde, manchmal das Einzige, worauf sie sich stützen.

Das Problem vieler Frauen sei, so Ayten Köse, dass sie vollkommen allein dastünden, allein gegen eine fremde oder die eigene Familie. »Und wenn sie nicht in Deutschland zur Schule gegangen sind«, erläutert Köse, »dann kennen sie meistens nicht einmal die Menschenrechte.«

Die Chancen stehen eher schlecht, dass die Politik ihnen bald hilft. Immer wieder wird als Schutz vor Zwangsverheiratung eine Heraufsetzung des Nachzugsalters nach Deutschland erwogen - weil viele Migranten sehr jung sind, wenn sie gegen ihren Willen verheiratet werden. Ein Gesetz gegen Zwangsehen gibt es bis heute nicht, nur das Strafgesetzbuch wurde ein wenig ergänzt. Es gibt nicht einmal Maßnahmen, die andere Länder längst etabliert haben. In England etwa können Frauen, die fürchten, im Urlaub hastig verheiratet zu werden, Daten bei Behörden hinterlegen: Melden sie sich nicht bis zum geplanten Datum zurück, fangen Beamte auch des Außenministeriums an, sie zu suchen.

Von solchen wohlmeinenden Ansätzen und der Symbolik, die von ihnen ausgeht, ist Deutschland noch weit entfernt. Bei Terre des Femmes melden sich häufiger junge Frauen, denen der Rechtsstaat gar in den Rücken fällt. Werden sie zur Zwangsheirat in ihre Heimatländer verschleppt, geht hinter ihnen die Tür oft für immer zu. Können sich die Bräute wider Willen nämlich nicht innerhalb eines halben Jahres befreien und zurückkehren, erlischt in der Regel ihr Aufenthaltsrecht in Deutschland.

Die Anwältin Seyran Ates sagt: »Wir sind an einem Scheideweg, in ganz Europa. Lassen wir Strukturen zu, die geradewegs in eine Parallelgesellschaft führen, oder fordern wir die Anpassung an den demokratischen Rechtsstaat?«

Die Antwort ist klar, wenn man die Literatur konservativer Muslime studiert. So empfiehlt der Imam Mohammed Kamal Mustafa aus Spanien in seinem Buch »Frauen im Islam«, wie diese geschlagen werden sollen. Nämlich mit »nicht zu dicken Ruten« auf die Hände und Füße, damit keine Narben zurückbleiben. Auch der algerische Imam Abdelkader Bouziane, der zwei Frauen sein Eigen nennt, empfiehlt,

so zu schlagen, dass die Ungläubigen die Folgen nicht sehen.

Zwar bemühen sich islamische Verbände, Gewalt in der Ehe zu verurteilen, aber trotzdem gibt es klare Indizien, wie allgegenwärtig Prügel in vielen muslimischen Ehen sind: Laut Experten ist eine überproportional hohe Anzahl der Frauen, die in ein Frauenhaus flüchten, muslimischen Glaubens.

Für mehr als 45 Menschen in Deutschland war solcherlei Gewalt in der Familie in den vergangenen zehn Jahren sogar tödlich. Nach einer Analyse des Bundeskriminalamts zum »Phänomenbereich Ehrenmorde« in Deutschland wurden sie oft grausam abgeschlachtet, weil sie gegen archaische Wertvorstellungen verstießen. Oft war es ein ganzer Familienrat, der die Hinrichtung einer Abtrünnigen beschloss.

So musste die junge Berlinerin Hatun Sürücü 2005 sterben, weil sie »lebte wie eine Deutsche«. Nach den Vorstellungen ihrer Familie war das ein Verbrechen, das nur ihr Tod sühnen konnte. Ihr jüngster Bruder richtete sie mit mehreren Schüssen an einer Berliner Bushaltestelle hin. Weil aber vor Gericht nicht nachgewiesen werden konnte, dass der Familienrat die Tat geplant hatte, konnte nur der Täter selbst wegen Mordes mit einer Jugendstrafe belangt werden. Der Rest der Familie verließ lachend den Gerichtssaal, der Verurteilte wurde vom Vater mit einer Uhr belohnt.

Dass Ehrenmörder nur wegen Totschlags belangt werden, ist durchaus nicht selten. Das Landgericht Frankfurt ließ 2003 einen in der Türkei geborenen Mann milde davonkommen, nachdem der seine in Deutschland geborene Ehefrau erstochen hatte. Sie hatte ihm nicht gehorcht, wollte sich gar scheiden lassen.

Man könne nicht sicher von niedrigen Beweggründen des Mannes ausgehen, so das Gericht. Schließlich handelte er in »einer auf seinen fremden soziokulturellen Wertvorstellungen beruhenden maßlosen Wut und Empörung gegen seine Ehefrau« - die er vorher schon regelmäßig geprügelt hatte. Die Scheidung hätte »nach seinen anatolischen Wertvorstellungen seine Familien- und Mannesehre« verletzt. Der Bundesgerichtshof kassierte 2004 den Richterspruch.

Auch wenn höhere Instanzen solche Urteile meist aufheben, gibt es immer noch Richtersprüche mit derselben Logik. So verurteilte das Leverkusener Amtsgericht 2005 einen Libanesen zu einer Bewährungsstrafe. Er hatte seine Tochter mehrfach schwer geprügelt, weil sie sich einer Zwangsverlobung widersetzt hatte. Er schlug sie mit einem Stock auf den Kopf. Als der zerbrach, würgte er sie und drohte, sie niederzustechen. Das Gericht hielt dem Mann zugute, dass seine Taten auch auf seinen muslimischen Wertvorstellungen beruhten.

Nicht besser das Essener Landgericht: Es verurteilte 2002 einen libanesischen Asylbewerber - der regelmäßig seine Kinder und die Ehefrau mit dem Gürtel malträtierte und seine Frau auch noch vergewaltigte - nur zu einer Bewährungsstrafe. Der Richter hatte den kulturellen Hintergrund des Mannes als strafmildernd berücksichtigt. Der Mann kommentierte seine Straftaten so: »Ich bin Muslim, ein normaler Mensch. Ich bete, faste, tue meine Pflichten.«

Aber nicht nur vor Strafkammern, auch vor Familiengerichten ging man oft lax mit gewalttätigen Eltern um, denen ihre Auffassung von Ehre wichtiger war als das Wohl ihres Kindes. 2000 entschied das Oberlandesgericht Köln, dass Eltern aus dem Kosovo, die ihre 17-jährige Tochter in der Heimat zwangsverheiraten wollten, das Sorgerecht entzogen wird. Die vorherige Instanz hatte das abgelehnt - und wollte das Mädchen, das in die Obhut des Jugendamts geflüchtet war, sogar wieder zu den Eltern zurückschicken. Erst die höhere Instanz stellte klar, was selbstverständlich sein sollte: dass es überhaupt nicht darauf ankomme, ob »die Eltern nach ihrer Herkunft andere Vorstellungen von Familienbindung und Gehorsamspflicht haben«.

Familienanwältinnen berichten, dass sogar einzelne Sozialarbeiter Mädchen abweisen, die sich etwa aus Angst vor Zwangsverheiratung an die Jugendbehörden wenden. Dann werde gesagt: Wieso, bei euch ist das doch so.

Die Präsidentin des deutschen Juristinnenbunds, die Familienanwältin Jutta Wagner, sagt, sie höre immer wieder von »Anwälten mit Migrationshintergrund«, die zwar in Deutschland studiert haben, aber Eheverträge schließen, »in denen sie eine Art ,Scharia light' zu adaptieren versuchen«. Die Verträge seien für deutsche Gerichte gerade noch akzeptabel - dienten aber dem Zweck, islamisches Recht in kleinen Schritten salonfähig zu machen.

Die Frankfurter Familienrichterin Christa D. argumentierte, als hätte sie die Grundlagen der Scharia schon akzeptiert. Im Koran sei »die Ehre des Mannes, einfach ausgedrückt, an die Keuschheit der Frau gebunden«, schrieb sie. Ergo erfülle »für einen islamisch erzogenen Mann das Leben einer Frau nach westlichen Kulturregeln bereits den Tatbestand der Ehrverletzung«. MATTHIAS BARTSCH, ANDREA BRANDT,

SIMONE KAISER, GUNTHER LATSCH, CORDULA MEYER, CAROLINE SCHMIDT

* Am 24. September 2003 nach der Urteilsverkündung am Bundesverfassungsgericht. * Bei einer Anti-Terror-Kundgebung der Türkisch-Islamischen Union am 21. November 2004 in Köln. * Links: 2004 bei den Dreharbeiten zum Film »Submission«; rechts: am 2. November 2004 in Amsterdam. * Deutschlands größte Moschee im September 2006. * Bei der ersten Deutschen Islam-Konferenz am 27. September 2006 in Berlin.

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