Schweinezucht in Deutschland Qual für den Profit
Aufnahmen einer Ferkelaufzucht in Deutschland, aufgenommen im Juni 2020. Die Bilder wurden dem SPIEGEL von der Tierschutzorganisation Animal Rights Watch übergeben. Was schlimm aussieht, ist Alltag in deutschen Schweineställen. Denn bei der Haltung der Tiere gibt es zahlreiche gesetzliche Sonderregelungen, die alles Mögliche erlauben - so auch die Haltung von Sauen in sogenannten Kastenständen.
Sandra Franz, Animal Rights Watch
"Die Zustände in dieser Schweinezucht sind eigentlich branchentypisch. Also kranke, verletzte, tote Tiere findet man eigentlich in jeder Schweinezucht. Auch überall sind die Sauen in Metallkäfigen eingepfercht, in denen sie sich gerade mal hinlegen, wieder aufstehen können. Mehr Bewegungsspielraum ist nicht möglich. Und da leben sie halt die Hälfte ihres Lebens. Die Tiere müssen in engen, zugekoteten Betonbuchten vor sich hinvegetieren. Sie können dort ihre grundlegendsten Bedürfnisse nicht ausleben, nach Bewegung, nach Sozialverhalten. Sie können ihre Neugierde nicht befriedigen. Also alles, was eigentlich Schweine für ein gutes Leben brauchen, wird ihnen dort genommen. Und genau das sieht man auf diesem Videomaterial."
Seit Jahrzehnten demonstrieren Tierschützer für mehr Tierwohl in der Schweinezucht. Im Juli 2020 beschließt der Bundesrat, dass die sogenannten Kastenstände abgeschafft werden. Allerdings: Es gibt eine acht Jahre lange Übergangsfrist, in der das Tier nun nicht einmal mehr das verbriefte Recht hat, sich im Liegen ungehindert ausstrecken zu können. Für die zuständige Ministerin, Julia Klöckner, ist die Änderung des Nutztiergesetzes trotzdem ein Erfolg.
Julia Klöckner / Bundeslandwirtschaftsministerin (Berlin, 3. Juli 2020)
"Und soeben ist im Bundesrat die Verordnung zur Nutztierhaltung angenommen worden, auch in einem breiten Konsens. Und sie hat eines erreicht: Mehr Tierwohl, mehr Tierschutz. Und wir helfen den Tierhaltern mit richtig viel Geld des Bundes, dass sie schnell die Ställe umbauen können. Dass wir Tierhaltung hier halten, aber den Anspruch erhöhen und vor allen Dingen Gas geben, um zu zeigen, dass Ökologie, Ökonomie und die soziale Frage zusammenpassen. Da sind wir Verbraucher gefragt. Da sind Tierhalter gefragt, und da ist die gesamte Kette gefragt. Da kann sich keiner rausnehmen."
Doch in der konventionellen Schweinezucht ist man momentan vom Tierwohl weit entfernt. Hier sind mehrere Kastenstände zu sehen, die gerade mal 52 Zentimeter groß sind – viel zu klein für eine ausgewachsene Sau.
Sandra Franz / Animal Rights Watch
"Die Kastenstände müssen eigentlich so breit sein, wie die Sau hoch ist. Das ist seit über 20 Jahren so geregelt. 2016 hat das Bundesgericht bestätigt, dass es so sein muss. 2020 wurde erst die Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung so geändert, dass sie in acht Jahren abgeschafft sind. Bis dahin, innerhalb dieser acht Jahre, sind diese schmalen Kastenstände aber nachträglich legalisiert worden, obwohl die eigentlich seit über 20 Jahren illegal sind. Das zieht sich halt auch durch diese ganze Branche durch. Nicht nur, dass diese Tiere unfassbar leiden, selbst wenn die gesetzlichen Mindeststandards eingehalten werden. Aber noch nicht einmal diese Mindeststandards werden eingehalten."
Deutschland ist der größte Erzeuger von Schweinefleisch in Europa und steht weltweit an dritter Stelle hinter China und den USA. Über 26 Millionen Schweine werden hierzulande gehalten. Immer weniger hochspezialisierte Betriebe managen immer größere Tierbestände. Damit ist die Schweinehaltung nach der Milcherzeugung der zweitwichtigste Betriebszweig der Landwirtschaft in Deutschland.
Marco König / Tierschutzbeauftragter Sachsen-Anhalt
"Mittlerweile sind die Verhältnisse so, dass wir in Deutschland seit vielen Jahren das billigste Schweinefleisch in Europa auf den Markt bringen, und zwar weit mehr, als wir für den Eigenverbrauch der Bevölkerung brauchen. Mittlerweile wird 40 Prozent des auf den Markt gebrachten Schweinefleischs exportiert, und das ist in meinen Augen ein großer Kritikpunkt. Ob das notwendig ist, zum Zweck, auf Kosten der Tiere, mit Verursachung von Tierleid, dafür zu sorgen, dass die Branche mit Exporten Gewinne erwirtschaftet? Das halte ich für sehr fraglich."
Wir zeigen dem Tierschutzbeauftragten von Sachsen-Anhalt, Marco König die Aufnahmen, die Animal Rights Watch zugespielt bekommen hat. Sie sind nicht in Sachsen-Anhalt aufgenommen.
Marco König / Tierschutzbeauftragter Sachsen-Anhalt
"Hier sieht man deutlich, dass der Stand, in dem die Sau steht, der Ferkel-Korb, für diese Sau offensichtlich zu kurz ist. Es ist vorgeschrieben, dass die Sau, wenn sie sich nicht viel bewegen kann, zumindest sich hinlegen kann und den Kopf ausstrecken kann. Das ist hier, wie man unschwer sieht, nicht der Fall. Der Stand ist einfach zu klein für die Sau. Die Sauen, die man hier sieht, haben in so einem Kastenstand, egal, ob der schmal oder breit ist, überhaupt nichts verloren. Die Sauen sind absolut unterernährt. So sieht eine Sau aus, wenn sie von ganz vielen Ferkeln abgesaugt worden ist und so viel Energie reingesteckt hat in die Versorgung ihrer Ferkel.
Zu klein, zu viele Ferkel, niemand, der sich um die verletzten und schwachen neugeborenen Ferkel kümmert.
Marco König / Tierschutzbeauftragter Sachsen-Anhalt
"Das sind 20 Ferkel. So viele Zitzen hat eine Sau gar nicht, die kann sie gar nicht alle versorgen. Aber unsere Sauen sind so gezüchtet auf so viele Ferkel. Das ist natürlich schon ein Problem. Ansonsten muss man leider sagen: 13 Prozent Ferkelverluste aller neugeborenen Tiere ist ja eine Marge, die in der Branche üblich ist. Das ist natürlich alles andere als tiergerecht, aber durchaus nicht unüblich."
Das Tier als Abfallprodukt. Hier landen die Tiere, denen nicht mehr geholfen werden kann oder deren medizinische Versorgung zu viel Geld und Ressourcen verschlingen würden.
Marco König / Tierschutzbeauftragter Sachsen-Anhalt
"Tote Schweine und Nachgeburten – das ist sozusagen der Abfall unserer intensiven Schweinehaltung. Das ist eine relativ typische, konventionelle Sauenhaltung. So muss man sich das vorstellen, so sieht es in einer Ferkelanlage in Deutschland aus."
Für den Tierschutzbeauftragten gibt es hier zahlreiche Verstöße gegen das Tierwohl, allerdings beschränke sich das Vergehen des Schweinezüchters auf Ordnungswidrigkeiten, die mit einer Geldbuße geahndet werden könnten. Die Aktivisten von Animal Rights Watch werden Anzeige erstatten.
Sandra Franz / Animal Rights Watch
"Wir erhoffen uns aber nichts von der Anzeige. Der Anzeige wird pro forma nachgegangen. Aber die Ermittlungen werden dann eigentlich immer eingestellt. Und ja, das ist das. Das gehört zu diesem kranken System dazu."