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Missstände in der Geflügelhaltung So sieht es in den Ställen eines Puten-Funktionärs aus

Zum zweiten Mal sind in einem Stall von Thomas Storck Missstände gefilmt worden. In der Anlage des Präsidenten der Putenerzeuger leiden Tiere offenbar und werden brutal getötet. Der Verband schaut weg.
Aufnahme im Putenstall von Gut Jäglitz am Standort Roddahn im November 2020

Aufnahme im Putenstall von Gut Jäglitz am Standort Roddahn im November 2020

Foto: Animal Rights Watch

Thomas Storck, so kann man das wohl sagen, ist der wichtigste Mann der deutschen Putenbranche. Storck ist nicht nur Geschäftsführer von mehr als einem Dutzend Betrieben, sondern auch Vorsitzender des Verbands Deutscher Putenerzeuger (VDP) und Vizepräsident des Zentralverbands der Deutschen Geflügelwirtschaft (ZDG). Im vergangenen September hat er mit seinem Unternehmen zudem die Firma Moorgut Kartzfehn übernommen und ist damit zum wohl größten Putenzüchter Europas aufgestiegen.

In den Ställen dieses Vorzeigeunternehmers, so sollte man annehmen, sieht es so aus, wie der ZDG es propagiert: »Wir bekennen uns zur Einhaltung aller Vorschriften und Standards« heißt es da, »die wir uns über die rechtlichen Vorgaben hinaus (…) selbst auferlegt haben. Vielfach sind diese noch strenger als die geltenden Gesetze«.

Gilt das auch für Thomas Storck oder legen die Branchenkollegen an den Putenlobbyisten andere Maßstäbe an? Und schauen die Kontrolleure der Veterinärämter hier vielleicht nicht so genau hin?

Offene Wunden, Beinfehlstellungen, sterbende Tiere

Beides legen Videoaufnahmen aus zwei von Storcks Mastbetrieben nahe, die dem SPIEGEL vorliegen. Sie stammen von Aktivisten, die nachts in den Stall eingedrungen sind und zusätzlich von Kameras, die sie versteckt an zwei Standorten der Firma Gut Jäglitz angebracht hatten. Eine Putenmasthalle steht in Goldberg in Mecklenburg-Vorpommern, die andere im brandenburgischen Roddahn. Die Tierrechtsorganisation Animal Rights Watch (Ariwa) hat die Aufnahmen dem SPIEGEL zur Verfügung gestellt.

In Goldberg zeigen die Aufnahmen dicht gedrängt stehende Tiere, wie immer kurz vor der Ausstallung. Zu sehen sind Tiere mit großflächigen Wunden, offenen Stellen an Beinen und Füßen, auf einigen Puten trampeln andere – auch schlicht aus Platzmangel – herum, dazwischen liegen auch tote Tiere. Beim Ausstallen, auch davon gibt es Aufnahmen, treten die Arbeiter die Tiere teils wie Fußbälle, schleudern zwei davon am Hals in Richtung Lkw. Ein Mann reißt einer Pute Federn aus, offensichtlich zum Spaß, um Kollegen damit zu bewerfen.

Am Standort Roddahn zeigen die Videobilder verletzte Tiere mit offenen Stellen an Flügeln und anderen Körperstellen, Beinfehlstellungen, geschwollenen Fußgelenken. Zu sehen sind sterbende Tiere, die von anderen Puten malträtiert werden, eines neben einer abgetrennten, aber vollständig leeren Krankenbucht. Die 17 Kadavertonnen, große schwarze Mülltonnen, sind dagegen gut gefüllt.

Pute mit Wunde, aufgenommen im Putenstall von Gut Jäglitz am Standort Roddahn im November 2020

Pute mit Wunde, aufgenommen im Putenstall von Gut Jäglitz am Standort Roddahn im November 2020

Foto: Animal Rights Watch

Und dann zeigen Aufnahmen von versteckten Kameras etwas, das nicht als Einzelfall oder grenzwertige Haltungsbedingung abgetan werden kann: Ein Mitarbeiter schlägt in mindestens sechs Fällen mit einem Knüppel oder einem Metallrohr so lange auf verletzte Tiere ein, bis sie sterben. Manche der Puten flattern noch minutenlang weiter. Zwingend vorgeschriebene sachgemäße Tötungen mit Betäubung und anschließendem Ausbluten sind das jedenfalls nicht.

DER SPIEGEL

Die Tierrechtsorganisation Ariwa zeigt sich von den Aufnahmen nicht überrascht: »Tote, kranke und verletzte Puten gehören in jeder deutschen Mastanlage zum Alltag. Auf den Bildern erkennt man die direkten Folgen der üblichen Mastbedingungen: Gelenkentzündungen, Knochenprobleme, Federpicken und Kannibalismus.« Die Frage sei, »wenn es bei Deutschlands bedeutendstem Putenlobbyisten so aussieht, wie sieht es dann wohl in anderen Betrieben aus?«

Tatsächlich zeigt sich, dass ZDG-Vize Storck klar gegen die Standards seines eigenen Verbands verstößt. Bereits im Dezember hatte SPIEGEL TV Videoaufnahmen veröffentlicht, die Verstöße gegen den Tierschutz in einem seiner Betriebe zeigen.

Kontrollen, als die Kameras aufgestellt waren

Storck beauftragte damals einen Rechtsbeistand, um sich zu wehren. In seinem Schreiben zitiert der Anwalt, den viele Tierhalter gegen unliebsame Berichterstattung engagieren, die Einschätzung der zuständigen Aufsichtsbehörde. Just zu der Zeit, als die versteckten Kameras am Standort Roddahn die Tötungen aufzeichneten, hatte das Veterinäramt eine Kontrolle durchgeführt.

Das Ergebnis war laut der Leiterin des Veterinäramts Simone Heiland zufriedenstellend: »Dabei haben zwei amtliche Tierärzte unabhängig voneinander keine Anzeichen an den Tieren festgestellt, die auf Verstöße gegen das Tierschutzgesetz schließen lassen könnten. Verletzungen waren nicht feststellbar. Die Tiere waren gut entwickelt und ›gesprächig‹«.

Verletzte Pute, die von einer anderen Pute malträtiert wird, aufgenommen im November 2020 am Standort Roddahn von Gut Jäglitz

Verletzte Pute, die von einer anderen Pute malträtiert wird, aufgenommen im November 2020 am Standort Roddahn von Gut Jäglitz

Foto: Animal Rights Watch

Auf diese Bewertung stützt sich wohl auch der ZDG, den der SPIEGEL um Stellungnahme gebeten hat. Der Geflügelverband schreibt »auch im Namen des Unternehmens Gut Jäglitz«, man sei »sehr an einer rückhaltlosen Aufklärung der von Ihnen geäußerten Vorwürfe interessiert«. Allerdings bezweifelt der Verband die Echtheit der Aufnahmen, von denen der SPIEGEL Screenshots zur Verfügung gestellt hat. Stattdessen äußert der ZDG den Verdacht, die Aufnahmen seien nachgestellt um »derartige Vorwürfe angeblich dokumentieren zu können«. Kranke und verletzte Tiere würden immer im Krankenabteil »veterinärmedizinisch fachgerecht versorgt« – sollte das Krankenabteil leer gefilmt worden sein, »würde das belegen, dass die Täter verletzte und kranke Tiere aus dem Krankenabteil genommen und in die Herde gestellt haben, um sie dort zu filmen«. Die Aktivisten bestreiten diese Darstellung.

4,40 Minuten, um Tausende Tiere zu kontrollieren

Die versteckten Kameras hatten zufällig auch die zitierte Kontrolle der Putenhaltung dokumentiert: Man sieht, wie die zuständige Tierärztin mit einem Betriebsmitarbeiter am 6. November die Masthalle betritt und die Tiere von Ferne begutachtend am Rand der Halle entlanggeht. Dauer der Kontrolle Tausender Puten: Vier Minuten und 40 Sekunden. Können Tierschutzverstöße so festgestellt werden?

Ariwa hält das für fraglich. Mitte Dezember erstattete die Organisation bei der zuständigen Staatsanwaltschaft Strafanzeige gegen den Betrieb und meldete wenig später die ihrer Meinung nach mangelhafte Kontrolle dem zuständigen Veterinäramt und stellte auch die Aufnahmen davon zur Verfügung. Auch wenn die Tierrechtler ihre Arbeit ausdrücklich »nicht als Ersatz für Veterinärämter, die ihrer Arbeit nicht nachkommen« sehen.

»Dennoch bleibt zu Recht die Frage, warum die Behörde die nahezu zeitgleichen tierschutzwidrigen Zustände nicht festgestellt hat, wenn die Behörde aufgrund anderweitiger Kontrollen dort häufiger im Betrieb ist.«

Stellungnahme des Ministeriums für Soziales, Gesundheit, Integration und Verbraucherschutz des Landes Brandenburg

Aufklärung gibt das zuständige Ministerium für Soziales, Gesundheit, Integration und Verbraucherschutz des Landes Brandenburg (MSGIV) auf SPIEGEL-Anfrage: »Bei der Kontrolle am 6.11.2020 im Putenstall in Roddahn handelte es sich um eine sogenannte ›Ausstallungskontrolle‹ im Sinne des Fleischhygienerechts und nicht um eine Tierschutzkontrolle im Sinne des Tierschutzgesetzes. Hierbei soll der Gesundheitszustand der Herde vor der anstehenden Schlachtung und nicht des Einzeltieres geprüft werden.« Die Tierärztin habe »den Bestand ausführlich und gründlich in Augenschein genommen, um die Tiere auf Tierseuchen und Geflügelkrankheiten zu untersuchen. Moribunde Tiere waren zum Zeitpunkt der Ausstallungskontrolle nach Auskunft der Behörde nicht vorhanden«.

Die Kontrolle sei fachaufsichtsrechtlich nicht zu beanstanden, schreibt das Ministerium dem SPIEGEL, aber: »Dennoch bleibt zu Recht die Frage, warum die Behörde die nahezu zeitgleichen tierschutzwidrigen Zustände nicht festgestellt hat, wenn die Behörde aufgrund anderweitiger Kontrollen dort häufiger im Betrieb ist.«

Im Klartext: Die Behörden haben in Storcks Ställen Missstände festgestellt und auch Konsequenzen gezogen, wie das Ministerium schreibt: »Nach Bekanntwerden der tierschutzwidrigen Missstände wurde die Wiederbelegung der Ställe vorübergehend untersagt, die Wiederbelegung an tierschutz- und tierseuchenrechtliche Auflagen gebunden.« Und nicht nur das, die Behörden kontrollierten im Ort einen weiteren Betrieb, »der dem familiären Umfeld zuzuordnen war«, der »ebenfalls mit Auflagen zur Wiederbelegung gesperrt« wurde.

Thomas Storck (l.) übergibt im September 2015 gemeinsam mit Rainer Wendt, dem Vorsitzenden des Bundesverbandes bäuerlicher Hähnchenerzeuger (r.), die »Geflügel-Charta« an den damaligen Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU)

Thomas Storck (l.) übergibt im September 2015 gemeinsam mit Rainer Wendt, dem Vorsitzenden des Bundesverbandes bäuerlicher Hähnchenerzeuger (r.), die »Geflügel-Charta« an den damaligen Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU)

Foto: Frank Nuernberger/ dpa

Künftig wird sich Storck wohl besser um seine Puten kümmern müssen, jedenfalls am Standort Roddahn, denn laut Ministerium wurde »die Kontrollfrequenz risikoorientiert verstärkt«, eine Strafanzeige werde erstellt, da »davon ausgegangen werden muss, dass Puten aus Rohheit erhebliche Schmerzen und Leiden zugefügt wurden«.

Der Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft postuliert eine klare Haltung und »eine konsequente rechtliche Verfolgung und Sanktionierung tierrechtlicher Verstöße«. Und weiter: »Wer sich nicht gut um seine Tiere kümmert, wird aus unserer Gemeinschaft ausgeschlossen.«

Ob das auch für den Vizepräsidenten gilt, wird sich zeigen.